Festival für eine gute Zukunft

Zukunftsbilder, Dialoge, Ausstellungen und Neue Musik
Dienstag 23. bis Sonntag 28. April 2013
Jugend- und Bildungshaus St. Arbogast / 6840 Götzis / Österreich
Festival für eine
gute Zukunft

Freitag, 26. April 2013

Expedition in ein Land nach dem Überfluss

Dass die fossilen Energien und die Rohstoffe für all unsere Konsumgüter nicht ewig verfügbar sind, wissen wir wohl alle, allein, wir wollen es oft nicht wahrhaben. Und noch weniger vermögen sich viele Menschen vorzustellen, wie eine Welt aussehen könnte, in der kein Benzin, kein Heizöl, kein Kerosin mehr zur Verfügung stehen oder ihre Förderung so teuer geworden ist, dass kein normaler Mensch sie sich mehr leisten kann. Oft macht uns diese Vorstellung Angst. Müssen wir auf alles, was wir in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt und erreicht haben, verzichten? Müssen wir hungern, frieren, darben? Müssen wir zurück ins Mittelalter?

Niko Paech, Volkswirt am Lehrstuhl für Produktion und Umwelt der Universität Oldenburg, schaffte es gestern Abend in seinem Vortrag bei den Tagen der Utopie, geradezu Lust auf die Postwachstumsökonomie, wie er sie nennt, zu machen. Und das ist kein Wunder.

Mit dem Foto einer Ziegelwand, vor der ein leerer Einkaufswagen steht und auf der auf einer Plakatwand zu lesen ist "Sorry! The lifestyle you ordered is currently out of stock" stimmte er das Publikum auf einen flotten, unterhaltsamen und anregenden Vortrag ein, der unseren derzeitigen Konsumwahnsinn beschreibt und dann für eine Balance zwischen Konsum, Selbstversorgung und Entrümpelung plädiert.

Der Zuwachs an materiellem Wohlstand führt nicht mehr zu mehr Wohlbefinden, sondern bloß zu mehr Stress, psychischen Krankheiten, noch mehr Arbeit und vor allem: weniger Zeit. Zeit sei jedoch die wichtigste Ressource.

Niko Paech räumt auch mit dem Mythos einer grünen Wirtschaft auf, denn jedes Produkt verbrauche Ressourcen für seine Produktion. Sogenannte ökologische Produkte seien oft nur ein Symbol für Nachhaltigkeit, eine Art moralische Kompensation für einen nicht-nachhaltigen Lebensstil an anderer Stelle, wie zum Beispiel bei der Mobilität. Vor allem das Fliegen sei ein großer CO2-Verursacher, so Niko Paech.
Entscheidend ist, so sagt er, unseren Lebensstil zu ändern. Um das Klimaschutzziel von maximal 2 Grad Zuwachs bei der durchschnittlichen Temperatur einzuhalten, dürfe jeder Mensch nur maximal 2,7 Tonnen CO2-Emission pro Jahr verursachen. Derzeit sind es in Deutschland rund 11 Tonnen!
Erreicht werden könne dies nur durch Suffizienz, also das Weglassen von allem, was wir nicht unbedingt zum Leben brauchen. Diese Reduktion könne sehr befreiend sein, betont Niko Paech und kann sicherlich jeder bestätigen, der sein Leben schon einmal gröber entrümpelt hat – sei es von Materiellem, von Verpflichtungen oder sei es auch nur von Mailinglisten.
In Zukunft könnten wir zum Beispiel 20 Stunden wie bisher in der Industrie, einem Gewerbe oder einer Dienstleistung arbeiten und die übrigen 20 Stunden für die Selbstversorgung und die Erhaltung von bestehenden Dingen aufwenden. Wir könnten Dinge länger nutzen, umnutzen, reparieren, mit anderen teilen oder umfunktionieren. Vieles davon ginge ohne Geld und würde uns zum Teil von der Last, Geld verdienen zu müssen befreien. Firmen könnten Produkte anbieten, die langlebiger sind, modular nutzbar, update-fähig und leicht zu reparieren. Sie werden dadurch weniger Produkte verkaufen, könnten aber zum Beispiel Kurse für das Selbermachen und Reparieren anbieten. Aus Konsumenten würden Prosumenten. – Soweit eine ganz grobe Übersicht über die Welt nach dem Überfluss.
Wie all das geht, hat Niko Paech in dem kleinen Büchlein "Befreiung vom Überfluss" (oekom Verlag 2012) zusammengefasst – und er lebt es so weit möglich selbst.

Sein exzellenter Vortrag bei den Tagen der Utopie kann ab sofort nachgehört werden, außerdem hat er seine Vortragsunterlagen zur Verfügung gestellt, beides zu finden auf der Startseite der Tage der Utopie.

 Vor und nach dem Vortrag von Niko Paech hat der französische Akkordeonist Pascal Contet seine wunderbare Improvisation zur Expedition in ein Land nach dem Überfluss präsentiert. Alle seine Stücke, die er zu den Tagen der Utopie komponiert und aufgeführt hat, können in Kürze als CD erworben werden.

Donnerstag, 25. April 2013

Wege zum Wandel


Wir alle wissen, dass ein Wandel nötig ist und es uns vielfach auch zum Wandel drängt. Doch wie setzen wir ihn um? Wie bringen wir andere dazu, den Weg mitzugehen? Und welche Wandlungsprozesse sind gelungen? Damit hat sich die Volkswirtschafterin Kora Kristof wissenschaftlich im Rahmen ihrer Habilitation auseinandergesetzt und ihre Erkenntnisse im Buch "Wege zum Wandel. Wie wir gesellschaftliche Veränderungen erfolgreicher gestalten können" (2010 oekom Verlag) dokumentiert. Über dieses Thema sprach sie gestern Abend auch bei ihrem Vortrag bei den Tagen der Utopie.
Kora Kristof ist Leiterin der Grundsatzabteilung des deutschen Umweltbundesamtes in Dessau und war zuvor Leiterin der Abteilung Energie, des Themenbereichs „Materialeffizienz und Ressourcenschonung“ sowie Programmleiterin der Forschungsgruppe „Nachhaltiges Produzieren und Konsumieren“ im renommierten Wuppertal Institut.
In ihrem Vortrag gab sie einen Überblick über die Herausforderungen für erfolgreiches Verändern, die psychologischen Strukturen von Veränderungsprozessen, die Anforderungen an die Change Agents und wie man Veränderungsprozesse bewusst gestalten kann. Ein zentraler Aspekt ist dabei, dass Widerstände gegen Veränderungen völlig normal sind und man diese nicht ablehnen oder bekämpfen, sondern in den Prozess integrieren sollte, denn Widerstände sind Hinweise darauf, was an der Idee und am Prozess weiterentwickelt werden muss.
Im Workshop und Dialog am heutigen Vormittag bestätigten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen weiteren wichtigen Punkt: wenn man den Verhandlungs"gegner" als Menschen anerkennt, der genauso Familie, Hobbies, Überzeugungen, Interessen, Ängste und Bedürfnisse hat, wird die Verhandlung leichter. Trotzdem kann und soll man auf der inhaltlichen Ebene hart bleiben bzw. seinen Weg konsequent fortsetzen.
Eine weitere wichtige Erkenntnis vieler Veränderungsversuche ist, dass Informationen nicht zu Verhaltensveränderungen führen. "Wir argumentieren oft von der Verstandesebene her und von der moralischen Ebene: du sollst, du musst. Aber am meisten hat sich immer verändert, wenn Leute Spaß daran hatten", sagt Kora Kristof. Ein zentrales Element ist für fast alle Menschen, andere, neue Menschen kennenzulernen. Bei den Transition Town Prozessen zum Beispiel sei das etwas gewesen, das den Menschen am besten gefallen habe.

Eingeleitet und ergänzt wurden Vortrag und Diskussion auch gestern Abend wieder von einer musikalischen Aufführung von Pascal Contet am Akkordeon. Er bot seine eigene Darstellung von "Was wollen wir wandeln?" und "Wie wollen wir es tun?".
Nachzuhören ist der Vortrag von Kora Kristof – wie alle Vorträge der Tage der Utopie – unter den hier angeführten Links bzw. eingebetteten Sounddateien.
Pascal Contet nimmt seine Kompositionen zu den Tagen der Utopie im Laufe dieser Woche in St.Arbogast auf, das gesamte Werk wird dann auf CD erscheinen. Stay tuned.

Mittwoch, 24. April 2013

Nur noch Utopien sind realistisch

Gestern, Dienstag 23.4. abends wurden die Tage der Utopie 2013 von den Initiatoren und Organisatoren Josef Kittinger und Hans-Joachim Gögl eröffnet. Der große Saal im Bildungshaus St.Arbogast war voll, weitere Besucher konnten den Vortrag von Oskar Negt im Seminarraum über Videoübertragung verfolgen.





Oskar Negt, Jahrgang 1934 und einer der bedeutendsten Sozialwissenschaftler Deutschlands, ist für die Tage der Utopie aus Hannover angereist, um über einen neuen Gesellschaftsentwurf Europa zu sprechen. Unter diesem Titel hat er kürzlich auch ein Buch veröffentlicht, dessen Untertitel lautet: Plädoyer für ein gerechtes Gemeinwesen.

Oskar Negt hat nach dem Studium der Philosophie und Soziologie als Assisstent von Jürgen Habermas begonnen und sich Zeit seines Lebens für menschengerechte Arbeit und für eine menschenfördernde Schule eingesetzt. In seinem Buch "Nur noch Utopien sind realistisch", das im Herbst 2012 erschienen ist, konstatiert er einen großen Mangel in der Gesellschaft: "Die Gegenwart leidet an chronischer Unterernährung der produktiven Phantasie, würde Ernst Bloch sagen", schreibt Negt. Der Tatsachenmensch, der Realpolitiker des Alltags, sei schnell geneigt, einen Schritt zu unterlassen, der auf unsicherem Boden zu gehen wäre. Den Tatsachenmenschen fehle jeder Sinn für das Realistische in den Utopien. Der Realpolitiker sei die Grundlage der Misere.

In seinem Vortrag sprach Oskar Negt über die Enttäuschung der Menschen in Europa durch Euro-Schutzschirme und andere Entwicklungen, die dazu führten, dass jedes EU-Mitglied versuche, seine Schäfchen ins Trockene zu holen. Europa brauche, um zusammenwachsen zu können, einen kollektiven Lernprozess. Die Europäer sollten hinsehen, was in welchem Land gut sei und sehen, ob sie das übertragen oder weiterentwickeln könnten, statt immer nur zu schauen, was uns unterscheide oder ob der andere vielleicht mehr bekommen hat als man selbst. Später sagt Oskar Negt, dass wir aus alter Zeit unser ganzes System des Denkens aus Griechenland haben und nun dieses Land womöglich von der EU abkoppeln wollen!
Wichtig seien der Rechtsstaat, die Sozialstaatlichkeit und das ständige Erlernen und Üben der Demokratie, die derzeit an allen Ecken und Enden abgebaut werde. Das Lernen der Demokratie könne auch die Bindungen zwischen den Menschen stärken, die derzeit ebenfalls erodieren, doch das Bedürfnis nach Bindungen sei vorhanden.

Als Gefahren für die Zukunft Europas nennt Oskar Negt die Polarisierung der gesellschaftlichen Kräfte durch Ausgliederung des Reichtums, steigende Produktivität bei gleichzeitig Sparzwang, soziale Spaltung an Schulen, Abkoppelung der Peripherie von den Städten durch fehlende öffentliche Verkehrsverbindungen usw.
Zweitens die Flexibilisierung und Fragmentierung der Arbeit, die unter anderem die Familien auseinanderreisst. Oskar Negt zitiert dazu Richard Sennett aus dessen Buch "The corrosion of character": Flexibel ist nur der Baum, der feste Wurzeln hat, der andere zerbricht (sinngemäß).
Die dritte Gefahr sei die Dreiteilung der Gesellschaft, die immer schärfer werde. Ein Drittel der Gesellschaft sei integriert und habe einigermaßen befriedigende Arbeitsplätze, das zweite Drittel lebe in fortwährend prekären Lebensverhältnissen, das dritte Drittel sei von der Wirtschaft (und Gesellschaft) dauerhaft ausgegliedert, diese Menschen würden für den zentralen gesellschaftlichen Produktions- und Lebenszusammenhang nicht mehr gebraucht. Die Prekarisierung der Gesellschaft sei in alle Bereiche eingedrungen und akkumuliere Lebensängste. Es sei deshalb notwendig, zum Beispiel Gemeinwesenarbeit als originäre Form der Arbeit zu betrachten, etwas, das Wert hat.

Oskar Negt konnte keine Anleitung zur Lösung unserer Probleme – und derer gibt es viele! – geben, aber er hat uns allen etwas mitgegeben: Wir können nicht das Finanzsystem an der Wall Street ändern, aber jeder Einzelne ist aufgefordert, in seinem eigenen Lebenszusammenhang etwas zu verändern. 

 Und er weist auf Robert Musils "Mann ohne Eigenschaften" hin, in dem es heißt:
"Wenn es aber Wirklichkeitssinn gibt, und niemand wird bezweifeln, daß er seine Daseinsberechtigung hat, dann muß es auch etwas geben, das man Möglichkeitssinn nennen kann. Wer ihn besitzt, sagt beispielsweise nicht: Hier ist dies oder das geschehen, wird geschehen, muß geschehen; sondern er erfindet: Hier könnte, sollte oder müßte geschehn; und wenn man ihm von irgend etwas erklärt, daß es so sei, wie es sei, dann denkt er: Nun, es könnte wahrscheinlich auch anders sein. So ließe sich der Möglichkeitssinn geradezu als die Fähigkeit definieren, alles, was ebensogut sein könnte, zu denken und das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist." (Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften)

Montag, 15. April 2013

Geburtshilfe für das Neue

Die Tage der Utopie haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer immer wieder inspiriert, selbst aktiv zu werden. Aufgeladen mit positiver Energie und umgeben von faszinierenden Menschen sitzen sie dann am Nachmittag in der Sonne oder abends bei einem Glas Wein mit anderen beisammen und schmieden Pläne. Pläne, wie man die Welt verbessern könnte, wie man ein konkretes Problem lösen könnte, wie man das, was einem schon eine Weile im Kopf herumgeistert, gemeinsam mit anderen realisieren könnte. Es gibt einige Beispiele für gute Ideen, die im Rahmen der Tage der Utopie entstanden sind, für die sich Menschen vernetzt haben, und die in der Folge auch umgesetzt werden konnten.
Doch was ist mit all den anderen guten Ideen geschehen? Sind sie gescheitert? Wurden sie verworfen? Oder konnten sie einfach nur deshalb nicht umgesetzt werden, weil es an einer Anschubfinanzierung, den richtigen Partnern oder etwas Ermutigung gefehlt hat?
Hier wollen die Tage der Utopie helfen und haben deshalb gemeinsam mit der Firma Kairos Wirkungsforschung & Entwicklung die Wirkstätten der Utopie ins Leben gerufen.
Martin Strele, einer der Geschäftsführer von Kairos: "Wir werden versuchen, den Ideen und Projekten für sechs Monate eine Stütze zu geben. Oft scheitert es nur daran, dass man eine Idee strukturieren muss, dass man dafür Leute braucht, die man noch nicht kennt, oder dass man einfach dranbleiben muss."
Die Mittel dafür sind begrenzt, dafür bringt das Team von Kairos eine Menge Erfahrung für die Umsetzung guter Ideen mit. Zu ihren Projekten zählen zum Beispiel "Ein guter Tag hat 100 Punkte" oder die Raumentwicklung Montafon.
Direkt bei den Tagen der Utopie und danach wird es die Möglichkeit geben, gute Ideen mitzuteilen – als Notizzettel oder Skizze im eigens dafür aufgestellten Postkasten, als e-mail oder im persönlichen Gespräch bei den Tagen der Utopie. 
"Wir sammeln die Ideen einmal, schauen sie uns an und setzen uns dann mit den Personen oder Gruppen zusammen, um zu schauen, was sie brauchen." Aus den Einreichungen werden dann in einem interdisziplinären Gremium erfahrener Projektentwickler drei Projekte ausgewählt, die für ein halbes Jahr unterstützt werden.
Finanziert werden die Wirkstätten der Utopie von zwei Stiftungen.

Samstag, 13. April 2013

Der Besuch in der utopisch wirkenden Schule

Alexandra Abbrederis hat Anfang dieser Woche gemeinsam mit zehn Schülerinnen und Schülern aus Vorarlberg die ungewöhnliche Evangelische Schule Berlin Zentrum besucht, an der eine utopisch wirkende Form des Lernens und gemeinsam Wachsens gelebt wird. Sie hat darüber einen sehr persönlichen Blog-Artikel geschrieben, auf den wir hier einfach verlinken wollen.
Die Schulleiterin Margret Rasfeld und die Vorarlberger Schülerinnen und Schüler werden am 27. und 28. April bei den Tagen der Utopie in St.Arbogast darüber berichten.